Zu Mk 5,1-20: Der Besessene von Gerasa

In den Kommentarspalten ist neulich die Frage nach der Auslegung von Mk 5,1-20 gestellt worden. Dazu sollen im Folgenden einige exegetische Hinweise gegeben werden. Der Text findet sich in der Einheitsübersetzung hier, in der Lutherübersetzung hier, nach der Elberfelder Bibel hier


Eine erweiterte Geschichte 

Auf den ersten Blick macht die Geschichte einen klar gegliederten Eindruck: Sie bietet eine Einleitung, in der die Situation geschildert und die Krankheit beschrieben wird (VV.1-5); sie erzählt die Auseinandersetzung zwischen Jesus und dem Dämon (VV.6-13) und schildert das Verhalten der Zeugen des Geschehens (VV.14-17) sowie des Geheilten selbst (VV.18-20). Näheres Zusehen offenbart jedoch Wiederholungen und Doppelungen, auffallende Nachträge und Spannungen.

(1) Doppelungen:

  • die Begegnung zwischen Besessenem und Jesus wird zweimal erzählt (VV.2.6),
  • ebenso der Aufenthalt des Besessenen in den Gräbern (VV.3.5).
  • Die Dämonen richten zwei Bitten an Jesus (VV.10.12),
  • zweimal wird vom Geschehenen berichtet (VV.14.16).
(2) Nachträge:
  • der Ausfahrbefehl V.8 wird erzählerisch nachgetragen (»er hatte ihm nämlich gesagt: Fahre aus ...«),
  • Dasselbe gilt für die Identifizierung des Besessenen als desjenigen, der die Legion hatte: »Und sie kommen zu Jesus und sehen den Besessenen sitzend, bekleidet und bei Verstand, der die Legion hatte« (V.15).
  • Auch die Notiz zu den Schweinen im zweiten Bericht fällt in dieser Hinsicht auf: »Und es berichteten ihnen (diejenigen), die gesehen hatten, wie (es) erging dem Besessenen, und über die Schweine« (V.16). Die letzten beiden Punkte sind nur in einer textnahen Übersetzung zu erkennen (nicht in der Einheitsübersetzung).
(3) Spannung:
Die schon genannte Doppelung der Begegnung von Jesus und dem Besessenen stellt auch eine inhaltliche Spannung dar: zu einem Zeitpunkt, da die Begegnung schon erzählt ist, wird von einem Herbeilaufen von weitem gesprochen (V.6).  

Diese Beobachtungen führen zu dem Schluss: Die vorliegende Geschichte ist nicht aus einem Guss, sie wurde vielmehr aufbauend auf einer vorhandenen Erzählung nachträglich erweitert und ausgestaltet. Den Grundbestand näher zu bestimmen ist ein schwieriges Unterfangen, bei dem keine sicheren Ergebnisse erreicht werden können. Die meisten der beschriebenen Auffälligkeiten lassen sich aber erklären, wenn man davon ausgeht, dass die Episode mit den Schweinen erst nachträglich in die Geschichte kam. Dazu die folgenden Beobachtungen:  

(1) Mit dieser Episode verbindet sich die ungeheure Gewalt der Dämonen, da sie eine 2000-köpfige Schweineherde vernichten können. Dies dürfte den Anlass gegeben haben, den Fall des Besessenen in VV.3-5 ausführlich zu schildern: ein solches Dämonenheer muss sich auch im Besessenen besonders furchtbar auswirken. So erklärt sich die Doppelung der Begegnung von Jesus und Besessenem: nach dem langen Einschub ist gewissermaßen der Erzählfaden verloren und wird wieder neu aufgenommen.  

(2) Dass ein unbestimmter Ausfahrbefehl erteilt wird, obwohl die Dämonen schließlich in die Schweine einfahren, erklärt sich am besten durch die Annahme: der Ausfahrbefehl existierte schon in einer Fassung der Erzählung, die noch nichts wusste von der Einfahrt der Dämonen in die Schweine. Denn im jetzigen Zusammenhang könnte das Gespräch zwischen Jesus und den Dämonen missverstanden werden als Hinweis auf die Wirkungslosigkeit des Ausfahrbefehls – und daran konnte keinem urchristlichen Erzähler gelegen sein. Dass der Ausfahrbefehl in der Endfassung der Geschichte nachgetragen wird (man muss übersetzen: »er hatte nämlich zu ihm gesagt: fahre aus ...«, auch wenn Markus kein Plusquamperfekt verwendet), mildert diese Schwierigkeit etwas; denn nun erscheint das Gespräch nicht als unmittelbare Fortsetzung des Befehls Jesu. Gewöhnlich gehorchen ja die Dämonen dem Wundertäter Jesus aufs Wort.  

(3) Die beiden nachgetragen wirkenden Notizen in V.15 (»der die Legion hatte«) und V.16 (»und über die Schweine«) hängen ebenfalls an der Schweine-Episode. 

(4) Schließlich kann der vorgestellte Vorschlag die Schwierigkeit lösen, die in der Lokalisierung der Geschichte besteht. Sie spielt im Land der Gerasener. Gerasa liegt gut 50 km vom galiläischen See entfernt, auch sein Gebiet stößt nicht an diesen See. Dieses Problem entfällt, wenn man annimmt, dass ursprünglich vom See gar nicht die Rede war und dieser erst später in die Geschichte kam - im Zusammenhang der Einfahrt der unreinen Geister in die Schweine. 

Warum wurde die Erzählung erweitert?  

Zunächst kann man zur Beantwortung dieser Frage darauf verweisen, dass die Größe des Wundertäters Jesus gesteigert wird durch die verschiedenen Erzählzüge des Nachtrags. Denn diese Erzählzüge hängen zusammen mit der Steigerung der Dämonenmacht. Um wieviel stärker muss dann derjenige sein, der ein solches Dämonenheer besiegt!

Außerdem könnte die Erweiterung auch den Sinn gehabt haben, »unsere Erzählung zu einer Demonstration der Überlegenheit Jesu über das heidnische Unwesen« auszubauen (Rudolf Pesch, Der Besessene von Gerasa. Entstehung und Überlieferung einer Wundergeschichte, Stuttgart 1972, 45). Der Besessene könnte als typischer Vertreter des Heidentums verstanden werden, denn die nähere Charakterisierung seines Verhaltens in VV.3-5 erinnert an Jes 65, wo heidnische Bräuche geschildert werden:

»Sie sitzen in Grabkammern und verbringen die Nächte in Höhlen« (Jes 65,4).
Der besondere Bezug zum Heidentum kann auch ersehen werden aus den Bitten der Dämonen: sie wollen im (heidnischen) Land bleiben (V.10) und in die Schweine einfahren (V.12), also in unreine Tiere, deren Fleisch Juden nicht essen durften. So wird im Triumph Jesu über die Dämonenlegion auch gezeigt, »daß Jesus gekommen ist, das Heidentum und das Heidenland von seiner Unreinheit, von seinen Dämonen zu befreien« (Rudolf Pesch, Der Besessene 46). Dass auch ein romkritischer Akzent eingebracht sein kann, wird im nächsten Abschnitt deutlich. 

Wichtige Erzählmotive  

Mit der Rede von »Besessenheit« verbindet sich die Vorstellung, dass Menschen bösen Geistern gewissermaßen als Wohnung dienen, von ihnen ganz und gar in Besitz genommen werden. Erfahrungen von Ich-Verlust drücken sich auf diese Weise aus, der Besessene ist willenloses Werkzeug des Dämons. Nach dieser Vorstellung spricht Jesus als Exorzist mit dem Dämon, der besessene Mensch leiht dem bösen Geist nur die Stimme. 

In unserer Geschichte beginnt der Dialog mit einem typischen Abgrenzungsmanöver des Dämons, der Gefahr wittert: Er spürt die Anwesenheit einer ihm feindlichen Macht. Die Frage »Was ist zwischen dir und mir?« soll den Exorzisten zurückdrängen: Der Dämon will seinen Einflussbereich freihalten und von der göttlichen Macht abgrenzen. Dass er Jesus beim Namen nennt, ist als versuchter Namenszauber zu verstehen. Den Namen zu kennen bedeutet, Macht über den Namensträger zu haben (aus Rumpelstilzchen ein bekanntes Märchenmotiv). Allerdings misslingt der Versuch im Fall des Dämons. Jesus dreht den Spieß um – eine Besonderheit dieser Erzählung – und erfragt den Namen des Dämons. Der muss ihn sofort herausrücken und demonstriert dadurch seine Unterlegenheit. 

Sein sprichwörtlich gewordener Name »Legion« eröffnet zunächst den Blick auf das ungeheure Ausmaß der dämonischen Macht, die in dem Besessenen wirksam ist. Jesus hat es mit einem ganzen Dämonenheer zu tun. Liest man das Markus-Evangelium als eine Art »Anti-Biographie« zum Aufstieg der flavischen Kaiser, könnte außerdem eine romkritische Note mitschwingen: die militärische Macht Roms, in Legionen organisiert, wird als dämonisch gekennzeichnet. Dass eine der Legionen, mit der Vespasian gegen Jerusalem zog, einen Eber als Wappentier auf den Standarten abbildete, könnte die Anspielung verstärken. Die unreinen Geister drängt es ja in die 2000-köpfige Schweineherde (vgl. zu dieser Auslegung Martin Ebner, Markusevangelium 59; außerdem vom selben Autor die Hinweise auf der Homepage seines Instituts [im Rahmen einer äußerst gelungenen Kurzeinführung in historisch-kritische Bibelauslegung]; Informationen über die in Frage kommende Legion Decima Fretensis außerdem hier [englisch]).  

Dass die Dämonen darum bitten, in die Schweine einfahren zu dürfen, ist ein weiterer Zug, der ihre Unterlegenheit demonstriert: Sie haben sich der Macht Jesu unterworfen. Die Reaktion der Schweineherde, die zum Abhang stürmt, illustriert noch einmal die außerordentliche Gewalt des Dämonenheers. Dieses vernichtet sich allerdings selbst. Dass sich die Schweine ins Meer stürzen, ist wohl vor dem Hintergrund der Vorstellung vom Wasser als Chaosmacht zu verstehen. Mit den Schweinen kommen auch die Dämonen um. Das Auftreten Jesu im Gebiet der Gerasener befreit das Land von seinen bösen Geistern.

Die Einwohner scheinen darüber allerdings nur mäßig erfreut zu sei: Sie bitten Jesus, aus ihrem Gebiet fortzuziehen (V.17). Das ist vordergründig insofern verständlich, als sich das Land auf Dauer keinen Wundertäter leisten kann, dessen Auftreten eine riesige Schweineherde vernichtet. Hintergründig hat die Bitte noch einen anderen Sinn: die Menschen erkennen, dass sie in Jesus der Macht Gottes begegnen. Dies begründet wegen des eigenen Ungenügens die Furcht, in der Nähe dieser Macht nicht bestehen zu können (s.a. die Reaktion des Petrus auf den reichen Fischfang in Lk 5,8).

Die Einzigartigkeit der Erzählung  

Die Geschichte vom Besessenen von Gerasa stellt im Rahmen der Evangelien insofern eine Besonderheit dar, als Jesus heidnisches Gebiet betritt, vorbehaltlos an einem Heiden heilend wirkt und schließlich auch die Verkündigung des Geschehens in diesem Gebiet initiiert (5,19f). In der Erzählung von der Heilung der Tochter einer heidnischen Frau (Mk 7,24-30) weigert sich Jesus ja zunächst, auf die Bitte der Frau einzugehen, und wird erst durch die Hartnäckigkeit und Schlagfertigkeit der Frau umgestimmt. Er ist also nach der Darstellung des Markus-Evangeliums nicht nach Tyrus und Sidon aufgebrochen, um dort unter Heiden zu wirken. Es wird zwar vorgeschlagen, die Partien aus Mk 7 und 8, an denen sich Jesus am Ostufer des Sees Gennesaret aufhält, im Sinne des Markus als ein Wirken unter Heiden zu verstehen. In den Geschichten selbst wird dieses Milieu (anders als in der Gerasa-Erzählung) aber nicht deutlich.

Auch andernorts bieten die Evangelien keinen Anhaltspunkt dafür, dass Jesus seine Botschaft vom Reich Gottes in Wort und Tat über das Gottesvolk Israel hinausgetragen hätte. Das Johannes-Evangelium hält diese Beschränkung insofern grundsätzlich fest, als Griechen über die Vermittlung der Jünger Jesus sehen wollen, aber kein Zusammentreffen erzählt wird (Joh 12,20-33). Die Antwort Jesu deutet an, dass erst nach Jesu Tod und Auferstehung die gewünschte Begegnung stattfinden kann: »Wenn ich von der Erde erhöht (=gekreuzigt) bin, werde ich alle zu mir ziehen« (12,32). 

Unsere Erzählung berichtet also nicht von einem bestimmten Vorfall, der sich auf die angegebene Weise im Wirken Jesu zugetragen hätte; sie hat wahrscheinlich keinen konkreten historischen Kern (auch wenn grundsätzlich das Austreiben von Dämonen zum Wirken Jesu gehört hat). Im Grundbestand zielt sie darauf, Jesus als den darzustellen, der die Mächte des Bösen überwindet. Die Erweiterung richtet diese Macht vor allem auf das heidnische Land und seine Bewohner aus, die von den Dämonen befreit werden (mit Seitenhieb auf die Heilsansprüche der römischen Kaiser). Der missionarisch werbende Schluss in 5,18-20 dürfte vor allem im Blick haben, die Heidenmission der Urkirche mit Jesus zu verbinden. Was nach Ostern im Gefolge grundsätzlicher Debatten akzeptiert wurde, nämlich das Evangelium auch den Heiden zu verkünden, wird legitimiert durch eine Geschichte vom Wirken Jesu unter den Heiden, das dort bekannt und verbreitet wird. 


Neuere Kommentare zum Markus-Evangelium 

Peter Dschulnigg, Das Markusevangelium, Stuttgart 2007.

Martin Ebner, Das Markusevangelium. Neu übersetzt und kommentiert, Stuttgart 2008. 

Wilfried Eckey, Das Markusevangelium. Orientierung am Weg Jesu. Ein Kommentar, Neukirchen-Vluyn 2008. 

Walter Klaiber, Das Markusevangelium, Neukirchen-Vluyn 2010. 

Ludger Schenke, Das Markusevangelium. Literarische Eigenart - Text und Kommentierung, Stuttgart 2005. 

Nachtrag 20.6.: Themenheft der Zeitschrift Bibel und Kirche zum Markusevangelium, Heft 2011 (Hinweis von Ameleo, vielen Dank!)

Kommentare

Volker Schnitzler hat gesagt…
Lieber Herr Häfner,

vielen Dank für Ihre Ausführungen zu Mk 5, 1-20. Ich finde diese Geschichte der Wundertätigkeit Jesus unglaublich spannend, gerade auch, weil sie, wie Ihre Ausführungen auch zeigen, ungewöhnlich ist und von vielen Exegeten als „Märchen“ oder Schwank“ (Wellhausen, Bultmann, Dibelius) angesehen wird.

Grundsätzlich scheint aber die Exorzismustätigkeit Jesus eng mit seiner Reich-Gottes-Botschaft verbunden zu sein: „Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes zu euch gekommen“ (Luk 11,20 aus Q)

So finde ich es äußerst problematisch, wenn Exegeten die Wundertätigleit Jesu vernachlässigen (Bultmann, Bornkamm etc.).

Gnilka hingegen ist der Ansicht, dass hier aus judenchristlicher Perspektive ein Exorzismus im Heidenland erzählt wird, um die Missionstätigkeit unter den Heiden an Jesus zu binden. Das haben Sie ja ebenfalls herausgestellt.

Insgesamt ist die Schilderung äußerst detailreich und in ihrer Verortung am „heidnischen“ Ufer des Sees auch schlüssig in der Beschreibung (felsig, steil, unwirtlich) und inhaltlich eng mit diesem Ort verbunden. Ungewöhnlich auch die Bezeichnung Jesu als „Sohn des höchsten Gottes“, die so einzigartig bei Markus ist und auf die Vorlage des Markus verweisen könnte.

Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sich jemand eine solch detaillierte und umfangreiche Geschichte ausgedacht hat, um Jesus zu erhöhen; dazu hätte die Matthäusversion vollkommen ausgereicht. Die Geschichte ist in sich schlüssig. Was sollte das Ziel dieser Geschichte sein? Weder folgt der Geheilte Jesus, noch bejubeln die Menschen Jesus für seinen Exorzismus, vielmehr verweisen sie ihn aufgrund des immensen Schadens des Landes. Sicher ist die Darstellung überzeichnet, so die Anzahl der Schweine. Weshalb ihr aber ein historischer Kern abgesprochen wird, ist mir schleierhaft. Deutet nicht schon Mk 1,28 auf eine Ausweitung des Wirkungsgebietes Jesu an?

Hat der historische Jesus als Bewohner von Nazareth nicht auch Kontakt zu Heiden gehabt? Muss die Historitität der Geschichte aufgrund der Ausrichtung der Botschaft Jesu auf Israel abgelehnt werden? Wenn man sich vor Augen führt, wie die nachösterliche Jesus-Bewegung sich sehr schnell auf die Heidenmission einigt, dann deutet dies doch in eine andere Richtung.

Viele Grüße

Volker Schnitzler
Gerd Häfner hat gesagt…
Lieber Herr Schnitzler,

dass die Geschichte nicht »in sich schlüssig« ist, habe ich in dem Beitrag zu zeigen versucht. Jedenfalls gibt es in der überlieferten Gestalt bei Mk Grund zur Annahme, dass die Erzählung nachträglich erweitert wurde. Und dies geschah sicher nicht aufgrund besserer Kenntnis zugrundeliegender Ereignisse, sondern als literarisch-theologisch motivierte Gestaltung. Dass solche Motive nur zu einer Kürzung wie bei Mt führen könnten, lässt sich nicht begründen.

Jesus wird durchaus Kontakt zu Heiden gehabt haben. Dann fällt es aber umso mehr auf, dass er sein Wirken auf Israel beschränkt (und sich sogar zuerst weigert, die Bitte einer heidnischen Frau zu erfüllen: Mk 7,24-30). Wir haben kein Zeugnis dafür, dass bei der Entscheidung der Urkirche für die (gesetzesfreie) Heidenmission das Beispiel Jesu eine Rolle gespielt hätte. Man hat sich auch nicht »sehr schnell auf die Heidenmission [ge]einigt«. Die Entscheidung blieb zunächst umstritten, wie die Auseinandersetzungen in Galatien Mitte der 50er Jahre zeigen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Besonderheit der Gerasener-Geschichte (Jesus wirkt unter Heiden und fordert auch zur Bekanntmachung wenigstens im unmittelbaren Umfeld auf) am besten als nachösterliche Bildung.

Dass Dämonenaustreibungen zum Wirken Jesu gehörten, wird unbeschadet dieses Urteils über eine bestimmte Erzählung in der Jesusforschung heute gewöhnlich nicht bestritten.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Gehen Sie wirklich davon aus, dass die Heidenmission einfach so aus dem Nichts, ohne gewisse "Anlagen" im Leben Jesu, entstanden ist? Heiden als Gegenüber Jesu kommen doch nicht nur dieses eine Mal in den Evangelien vor (Mt 8,5-13 oder Joh 4,1-42).

Und wenn man Antiochia als Ausgangspunkt für die Heidenmission nimmt, die Hellenisten(!) aus Jerusalem flüchten dorthin und predigen auch zu Heiden (Apg 11,20), kann man diese Ereignisse auf 35-40 n.Chr. datiert. Da kann man doch schon von früh sprechen, denke ich. Und selbst das Apostelkonzil, das den Streitpunkt Heidenmission zu klären sucht, lässt darauf schließen, dass die Heidenmission schon etabliert ist und nicht erst entschieden wird. Paulus spricht von 14-jähriger Missionstätigkeit!

Und die eben erwähnten Hellenisten, aus denen die 7 "Diakone" gewählt werden, sind es dann auch, die nicht wie die 12 einmütig im Tempel sitzen, sondern wie Jesus mit Gesetzes-, Tora- und Tempelkritik dem Christentum so richtig auf die Sprünge helfen. So bleibt es nicht aus, dass dem Stephanus das gleiche Schicksal wie Jesus ereilt.

Philippos, einer der 7, wird zum Missionar Samariens! (Apg 8,4–25) Liegt Samaria ohne
Zweifel im Norden Jerusalems, so tritt in Apg 8,26 der Süden bis hin zum fernen Äthiopien in den Gesichtskreis der Heidenmission.

Mit Paulus tritt mit Damaskus (9,2)ein Gebiet in den Blick, in dem es offenbar bereits reichlich Christen gibt. Die Verbreitung des Christentums geschieht so schnell, dass die Erzählung des Lukas dem gar nicht zu folgen vermag.

Die Gesetzeskritik Jesu scheint mir die Verbindung zur Gesetzeskritik des Stephanus zu sein, die in Apg 6,11 deutlich benannt wird. Er kann sich auf Jesus und den Geist Gottes berufen, wenn er gegen Mose spricht! Nur so ist die äußerst schnelle und erfolgreiche Heidenmission zu erklären!
Gerd Häfner hat gesagt…
Ich möchte noch einmal auf den Befund hinweisen, dass Jesus (abgesehen von Mk 5,1-20) in den Evangelien nicht erkennbar unter Heiden wirkt oder seine Botschaft an sie richtet. Die Geschichte vom Hauptmann von Kapharnaum (Mt 8,5-13) läuft m.E. ganz parallel zur Erzählung von der heidnischen Frau: ein Heide bittet, Jesus lehnt ab (Mt 8,7 sollte als Frage gelesen werden, die die Reaktion des Hauptmanns in 8,8 provoziert), woraufhin der Bittsteller hartnäckig bleibt und einen besonderen Vertrauensbeweis liefert. Auch die Aussage in 8,10 (»nicht einmal in Israel habe ich einen solchen Glauben gefunden«) deutet darauf hin, dass Jesus eigentlich zu Israel gesandt ist – und so wird in den Evangelien auch erzählt.

Außerdem spielt eine Berufung auf das Beispiel Jesu in den Debatten der Urkirche um die Heidenmission, soweit wir darin Einblick haben, keine Rolle. Wie schnell es zur Heidenmission kam, wissen wir nicht. Meine Replik bezog sich auch nicht primär auf das »schnell« als vielmehr auf das »geeinigt«. Sicher wurde Heidenmission vor dem Apostelkonzil praktiziert, etabliert war sie noch nicht, sonst hätte man darüber nicht befinden müssen.

Die Heidenmission und die Bedingungen, zu denen sie möglich ist, waren umstritten. Selbst in der antiochenischen Gemeinde konnten die »Leute des Jakobus« (keine Gegner der Heidenmission) von den Judenchristen erfolgreich Tora-Gehorsam einfordern und die Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen beenden (Gal 2,11-14). Eine Torakritik Jesu hat hier nichts vorentschieden.

Im Übrigen: Wenn man den Impuls zur Heidenmission nicht auf das Wirken Jesu zurückführt, heißt das nicht, dass sie »aus dem Nichts« entstanden wäre.
Ameleo hat gesagt…
Noch eine Ergänzung zu Ihrer Literaturliste: Das aktuelle Heft der Reihe "Bibel und Kirche" 2/11 hg. vom Bibelwerk hat ebenfalls das Markusevangelium zum Thema.
Mehr Infos und das Inhaltsverzeichnis unter: https://www.bibelwerk.de/shop/Zeitschriften.13952.html/Bibel+und+Kirche.15025.html/Bisherige+Themenhefte.15113.html/Das+Markusevangelium.83958.html
Für mich - und sicher auch andere, die neben Beruf und Familie kaum zum Lesen eines ganzen Kommentars kommen, aber theologisch/kirchenpolitisch ein wenig auf dem Laufenden bleiben wollen - sind diese Blogartikel, genau wie solche Zeitschriftenartikel etwas, das ich zu lesen schaffe und im übertragenen Sinn "aufsauge wie ein trockener Schwamm".
Volker Schnitzler hat gesagt…
Dass es um das Thema Heidenmission Streit gegeben hat, das ist offensichtlich. Die Leute um Jakobus, aus Jerusalem, scheinen die Bedeutung von Gesetz und Tora für die Jesusbewegung als grundlegend zu bewerten, dies ist für Paulus inakzeptabel ist. Und Paulus geht aus dem Konzil letztendlich als Gewinner heraus, er muss also triftige Argumente gehabt haben. Schwer vorstellbar, dass bei diesen grundlegenden Dingen ohne einen Bezug auf Jesus entschieden worden ist. Beim Zwischenfall in Antiochia kommt es zu einem Tadel des Petrus aufgrund seines Verhaltens, die Tischgemeinschaft mit den Heiden aufzukündigen. Woher nimmt Paulus diese Autorität, was überzeugt auch alle anderen "Säulen"? Ich denke, mit einem gesetzestreuen Jesus kann man die Entstehung des Christentums nur schwer erklären.
Lina Sforza hat gesagt…
Universalistische Tendenzen, auf die Paulus und Co. für ihre Argumentation "Pro-Heidenmission" zurückgreifen hätten können, lassen sich bereits vor Jesu Zeit in der jüdischen Tradition finden, so z.B. Jes 25,6-8 oder Jer 16,19-21, also vorallem in der Theologie der nachexilischen Zeit, ab 539 v. Chr.
Gerd Häfner hat gesagt…
@Lina Sforza
Es liegt sicher auch sachlich nahe, dass der Schritt über das Gottesvolk Israel hinaus nicht völlig unvermittelt stattgefunden hat, sondern der Boden in einem Teil der jüdischen Tradition bereitet war. Auch die Überlieferung vom Gottesknecht als »Licht für die Völker« kennt solche Tendenzen. Man muss deren Existenz in der Urkirche in der Tat nicht auf Jesus zurückführen, um sie erklären zu können.

Ich entnehme der Diskussion die Anregung für das Thema eines weiteren Beitrags. Mk 5,1-20 hat uns zu sehr grundsätzlichen Fragen zur Adressierung des Evangeliums geführt.

Es wird aber noch ein wenig dauern, zur Zeit habe ich nicht allzu viel Freiraum.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Aber deshalb ist es doch gerade unverständlich, Jesus dabei auszuklammern. Er ist Jude und kann ebenso auf diese jüdischen Traditionen zurückgegriffen haben. Diesen Teil der Tradition hat Jesus vielleicht gerade weiter entwickelt. In den oben diskutierten Perikopen weicht die anfängliche Zurückweisung der Heiden schließlich dem Erkennen des Glaubens. Was spricht denn eigentlich dagegen, dass die Heidenmission in jesuanischen Handlungsweisen gründet?? Bewegt er sich nicht auch öfter in heidnischem Gebiet? Dass seine primäre Zielrichtung das auserwählte Gottesvolk ist, liegt mit dem Symbol der 12 auf der Hand. Aber das schließt doch das andere nicht aus. Sonst gäbe es die anderen Perikopen doch gar nicht. Jesu Umgang mit Heiden wird ein positiver gewesen sein, auch wenn er diese nicht gezielt angesprochen hat. Das wird im Übrige durch Mk 5, 1-20 unterstrichen. Einen heidnischen Jünger lehnt er ab.
Gerd Häfner hat gesagt…
Lieber Herr Schnitzler,

Sie schreiben: "Was spricht denn eigentlich dagegen, dass die Heidenmission in jesuanischen Handlungsweisen gründet?"

Antwort: Ein solcher Begründungszusammenhang ist nicht überliefert. Nirgends wird die Heidenmission mit Verweis auf das Beispiel Jesu legitimiert. Das Johannes-Evangelium gibt einen Hinweis, dass die Öffnung zu den Heiden ein nachösterliches Ereignis war (s. im Beitrag zu Joh 12,20-33).

Sie fragen: "Bewegt er (Jesus) sich nicht auch öfter in heidnischem Gebiet?"

Gerade deshalb fällt es auf, dass er die Bitte einer Heidin zunächst abweist. Wären die Heiden Ziel seiner Wanderung gewesen, würde er in diesem Zusammenhang doch nicht auf das Privileg Israels verweisen. Dass Jesus mit Heiden positiv umgegangen ist, mag sein. Dies bedeutet aber nicht, dass er seine Botschaft an sie gerichtet und damit ein Modell der späteren Heidenmission geliefert hätte. Wenn Jesus die Heiden "nicht gezielt angesprochen hat", wie Sie schreiben, hat er auch nicht den Impuls zur Heidenmission gegeben.

Ich halte auch dafür, dass die Debatten in der Urkirche verständlicher werden, wenn man nicht davon ausgeht, dass Jesus selbst schon den Schritt auf die Heiden hin getan hat, sondern dies aus der Reflexion über die Bedeutung des Evangeliums von Tod und Auferstehung Jesu erwachsen ist.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Wenn man davon ausgeht, dass Jesus von Johannes dem Täufer her kommt, er mit dessen Lehre vertraut war, diese dann weiter entwickelt hat, dann könnte man dies doch anders sehen! So schreibt Ernst Lohmeyer in Bezug auf die Lehre des Täufers: „So hat das jüdische Volk durch seine Herkunft nichts vor anderen Völkern voraus, wenn jetzt der Tag des Zornes anbricht; alle Menschen stehen dann, weil sie staubgeboren sind, in der unendlichen Ferne von Gott. Dieser Gedanke ist in der Tat im jüdischen Glauben eine fast unerhörte Neuerung, weil er an die geheiligten Grundlagen des Volkes rührt.“ Lk 3,7b–9 Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, daß ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? 8 Bringt Früchte
hervor, die eure Umkehr zeigen, und fangt nicht an zu sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen. 9 Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.

Daher kommt Jesus, hier liegt der Grund seiner Gesetzeskritik, die meiner Meinung nach so unerhört ist, dass seine eigene Familie zunächst nichts mit ihm zu tun haben will und ihn für verrückt erklärt, begründet. Der Sabbat, die Reinheitsvorschriften, das Ehescheidungsgesetz, all das legt Jesus auf seine eigene Weise aus. Diese beiden apokalyptischen Wanderprediger sind sicher alles andere als Mainstream-Vorzeigejuden. Wer umkehrt und sich taufen lässt, der ist gerettet, das ist die Lehre Johannes, das Judesein reicht dazu nicht aus. Das erinnert schon sehr stark an Paulus! Johannes, Jesus, Stephanus und viele andere enden als Außenseiter und werden hingerichtet, sicher nicht, weil sie brav im Tempel saßen.

Und Walter Bauer zur galliläischen Heimat Jesu:
"Der Galiläer wuchs außerhalb des Bannkreises von Schriftgelehrsamkeit und Pharisäismus auf, in ziemlicher Freiheit vom Gesetz und ohne
die quälende Angst, daß die Nähe des Heiden beflecken müsse. . . .Und daß Jesus, der in Nazareth, kaum eine deutsche Meile von dem
halbheidnischen Sepphoris entfernt, seine Kindheit verbrachte, kein pharisäischer Eiferer war und niemals ein solcher gewesen ist, bedarf
keines Beweises. Ihm galt auch der fromme Heide als Gottes Kind, und nirgends hören wir, daß er die Beschneidung als Voraussetzung für den Anschluß an seine Person gefordert oder vor Heilung und Belehrung nach dem Bekenntnis des Betreffenden gefragt hätte. Man kann die Einsilbigkeit, um nicht zu sagen das Schweigen der Überlieferung an diesem Punkt unmöglich so auffassen, daß sich Jesus eben in eine rein jüdische Umgebung gestellt fand, für die derartige Forderungen gegenstandslos gewesen wären. Besteht doch auch keinerlei Anlaß zu dem Glauben, die »Zöllner und Sünder«, in deren Nähe sich Jesus wohlfühlte, hätten alle zum Judentum gehört; es befanden sich ohne Zweifel auch âc âqnÀn �martwloÐ [ex ethn¯o. n hamart¯oloi.] (Gal.2, 15) darunter. Wer damals am See Genezareth oder sonstwo in Galiläa
unter freiem Himmel das Wort ergriff, war gar nicht imstande, heidnische Zuhörer auszuschließen. Gerade daß Jesus sich mit seiner
Predigt nicht auf den Synagogenraum beschränkt hat, ist bezeichnend. Und selbst in der Synagoge fand er sich in der Gemeinschaft gottesfürchtiger Heiden (Lk. 7, 4f.).“

Ich halte es für abwegig, dass die Heidenmission nicht im Handeln Jesu gründet. Vor diesem Hintergrund kann auch der Exorzismus einen historischen Kern haben.
Gerd Häfner hat gesagt…
Vielleicht kann Folgendes zur Klärung beitragen: Ich behaupte nicht, dass Jesus keinen Kontakt zu Heiden gehabt hätte. Dies war bei der Bevölkerungsstruktur Galiläas nicht zu umgehen. Daraus ist aber noch nicht zu folgern, dass Jesus sich in seinem Wirken an Heiden gewendet hätte.

Auch Johannes der Täufer hat das nicht getan. Dass Gott der Nachkommensverheißung an Abraham auch an Israel vorbei treu bleiben könne (Mt 3,9par), eröffnet zwar eine Perspektive über Israel hinaus, ist aber ein Mahnwort, das an Israel gerichtet ist. Auf derselben Linie liegen m.E. das Jesuswort in Mt 8,11fpar und das Gleichnis vom großen Gastmahl (Lk 14,16-24): Gott wird seine Herrschaft aufrichten; wenn sich Israel versagt, dann an Israel vorbei. Solche Aussagen werden nicht zu Heiden gesprochen, sondern zu Juden, um sie zur Annahme der Botschaft Jesu zu bewegen.

Sie schreiben: »Johannes, Jesus, Stephanus und viele andere enden als Außenseiter und werden hingerichtet, sicher nicht, weil sie brav im Tempel saßen.« Das ist zwar richtig, aber kein positives Argument für die Position, dass Jesus die Heidenmission begründet habe. Ich erinnere noch einmal an den Befund: (1) Es gibt kein urchristliches Zeugnis für diesen Zusammenhang. Die Vertreter der Heidenmission berufen sich nicht auf das Beispiel Jesu. (2) Die Evangelien bezeugen in Mk 7,24-30par; Mt 8,5-13 (8,7 als ablehnende Frage; s.1. 8,10) eine Haltung Jesu, nach der er sein Wirken nicht auf Heiden ausrichtet; dass die schließlich doch gewährte Bitte zu einer grundsätzlichen Öffnung des Wirkens Jesu auf die Heiden hin geführt hätte, lässt sich den Evangelien nicht entnehmen. (3) In Joh 12,20-33 und Mt 28,16-20 hat sich der erst nachösterliche Charakter der Heidenmission unmittelbar niedergeschlagen.

Auch wenn man unterschiedlich urteilen kann in unserer Streitfrage: abwegig ist es nicht, die Heidenmission nicht im Handeln Jesu gründen zu lassen.
Stefan Kraft hat gesagt…
Eine interessante Diskussion, die hier geführt worden ist. Wie weit sich Jesus den Heiden geöffnet hat, scheint mir ein ähnlich umstrittener Diskussionspunkt zu sein wie die Frage, wie apokalyptisch Jesus war.

Was ich mich frage ist, welche Bedeutung Jesu Haltung für uns selbst (die wir, wenn wir ein christliches Bekenntnis haben, wohl fast alle Heidenchristen sind) hat.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Was mich einfach wundert, ist die Tatsache, dass Sie in den Perikopen, die von einer anfänglichen Zurückhaltung Jesu gegenüber Heiden sprechen, diese Ablehnung mehr betonen als die anschließende Zuwendung Jesu. Jesus ist mehrfach vom der besonderen Tiefe des Glaubens dieser Menschen beeindruckt und die Wunder, die fest an seine Reich-Gottes-Botschaft gebunden sind, geschehen. Damit ist die Botschaft, das Reich-Gottes zu diesen Heiden gekommen.

Dass die primäre Ausrichtung Israel ist, bleibt unstrittig. Selbst Paulus steuert auf seiner Mission immer zuerst die Synagogen an. Der alte Bund bleibt für ihn bestehen, weil sonst der neue keinen Pfifferling wert wäre (Röm 11, 25ff).

Und wenn die frühen Gemeinden in einer akuten Parusieerwartung leben (Paulus glaubt zunächst, dass er nicht mehr stirbt), wieso kommt es überhaupt noch zur Heidenmission?

Ich bin mir nicht sicher, worin die Gründe der modernen Exegese wirklich liegen, die Radikalität Jesu Botschaft zu relativieren. Hoffentlich nicht in einer gewissen political correctness!

Und ich finde es wirklich wunderbar, dass Sie sich als sicher viel beschäftigter Theologe die Zeit für diesen Blog und die Auseinandersetzung mit Ihren Lesern nehmen!!

Herzlichen Dank dafür!
Gerd Häfner hat gesagt…
Es ist nicht mein Ziel, die Radikalität der Botschaft Jesu zu relativieren oder einer »political correctness« zu entsprechen. Ich versuche nur, den neutestamentlichen Befund zu verstehen. Gegen ein programmatisches Wirken Jesu unter Heiden hätte ich gar nichts, es würde die Kontinuität der späteren urkirchlichen Entwicklung zum Wirken Jesu aufzeigen. Gerade deshalb muss ich aber ernst nehmen, dass in den neutestamentlichen Schriften diese Kontinuität nicht beansprucht wird.

Dass Jesus punktuell auf das Anliegen von Heiden eingegangen ist, lässt sich aus den beiden Geschichten Mk 7,24-30 und Mt 8,5-13 durchaus ableiten. Erst aber müssen Widerstände überwunden werden, die die Israel-Perspektive des Wirkens Jesu zeigen. Und es bleibt bei dem punktuellen Charakter solcher Begegnungen. Es mag mit dem Handeln Jesu auch »die Botschaft, das Reich-Gottes zu diesen Heiden gekommen« sein, aber eben nur zu diesen Personen, mit denen Jesus in der beschriebenen Szene zu tun hat. Eine grundsätzliche Öffnung folgt daraus in der Jesustradition nicht.

@Stefan Kraft
Welche Bedeutung hat Jesu Haltung für uns Heidenchristen? Ich denke, wir müssen zum einen die Differenz zwischen unserer Situation und derjenigen Jesu wahr und ernst nehmen, nachdem die Wege von Judentum und Christentum auseinandergegangen sind. Zum andern wird vor dem Hintergrund der deutlichen Einbindung Jesu ins Judentum die Geschichte des christlichen Antijudaismus umso schmerzlicher. Und es ergibt sich ein indirekter Appell, solche Tendenzen nicht mehr aufkommen zu lassen.
Regina hat gesagt…
Lieber Herr Häfner, Ihr letzter Kommentar zu Stefan Kraft erinnert mich daran, dass sich unter dem jetzigen Professor-Papst Ratzinger die Karfreitags-Fürbitte bezüglich der "Juden Mission" erneut in eine weiter spaltende und obrigkeitsgläubige Sicht wandelt: das Heil kommt einzig und allein durch Christus, und das Judentum möge dies endlich verstehen und glauben. Das ist in meinen Augen sehr klar christlich-antijudaistisch gedacht, oder sehen Sie das anders ? Wie kann ein heutiger Papst so etwas ungestraft meinen und sagen dürfen...
Gerd Häfner hat gesagt…
@Regina
Man kann darüber streiten, inwiefern die Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte glücklich war; antijudaistische Motive schließe ich bei Papst Benedikt aber auf jeden Fall aus. Die Frage der »Judenmission« ist vor allem durch geschichtliche Erfahrungen belastet - eine jahrhundertelange Judenfeindschaft bis hin zur Vernichtungspolitik im Dritten Reich, die sich mit dem Namen »Auschwitz« verbindet. Diese Erfahrungen sind sicher ein äußerst gewichtiger Grund, von dem Projekt einer »Judenmission« Abstand zu nehmen.

Im Blick auf das Neue Testament ist der Befund weniger eindeutig. Paulus blickt in Röm 11,25-27 vor dem Hintergrund der Israel gegebenen Verheißungen auf die endzeitliche Rettung Israels aus, ohne sich auf die gläubige Annahme des Evangeliums zu beziehen. Derselbe Paulus will aber durch seine Missionstätigkeit unter den Heiden Israel »zur Eifersucht reizen und einige aus ihnen retten« (Röm 11,14) oder den Juden ein Jude werden, um sie so für das Evangelium zu gewinnen (1Kor 9,20). Allerdings haben sich zu seiner Zeit die Wege zwischen Judentum und Christentum noch nicht getrennt. Der Begriff »Judenmission« hätte für ihn sicher einen ganz anderen Klang als für uns, die wir zudem, wie gesagt, auf eine lange Geschichte des christlichen Antijudaismus zurückblicken.

Ist die Bitte darum, dass die Juden das Bekenntnis zu Jesus Christus als Retter annehmen, schon in sich antijudaistisch? Man kann sie auch so lesen, dass sie in Kontinuität zum Anliegen jener Juden steht, die am Beginn des christlichen Bekenntnisses Jesus als den Christus verkündet haben. Im zweiten Teil der revidierten Karfreitags-Fürbitte von 2008 heißt es: »Gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle aller Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird.« Dies lässt sehr stark jenen Teil von Röm 11 anklingen, der auf die endzeitliche Rettung Israels abhebt, ohne die gläubige Annahme der Evangeliumsverkündigung vorauszusetzen. Vielleicht sind es diese Mehrdeutigkeiten, die man der Fürbitte am ehesten vorwerfen kann. Die antijudaistische Keule möchte ich gegen sie nicht schwingen. Sie sehen: Die Sache ist schwierig, eindeutige Antworten sind kaum möglich. Ich jedenfalls habe sie nicht.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Im Kommentar von Heinrich Schlier zum Brief an die Galater ist zu lesen (hier zu Gal 2,16): „Das, was Paulus und die anderen Judenchristen . . . wissen, ist . . . die Tatsache, daß der Mensch nicht nur aus den selbstgewählten, sondern auch nicht aus den von der Tora und d.h. von Gott geforderten, rechten Werken gerecht wird. . . . Was Paulus und die anderen Judenchristen . . . wissen, ist demnach die Tatsache, daß sich die Gerechtigkeit Gottes überhaupt nicht in Leistungen, auch nicht in den von Gott geforderten Leistungen durchsetzt. Das ist ein Wissen, das den völligen Bruch mit dem Judentum voraussetzt.“

Schlier schriebt weiter zu Gal 2,17 „Der Einwand enthält . . . der
Substanz nach den in der synoptischen Überlieferung Jesus von seiten der Pharisäer
gemachten Vorwurf, daß er sich der Sünder annehme und auf diese Weise das Gesetz
entmächtige.“

Petrus isst definitiv in Antiochia mit Heiden, obwohl er dies hätte leicht vermeiden können. Sicherlich ist hier deshalb vom Herrenmahl die Rede, denn nur so ist die extreme Reaktion des Paulus zu verstehen. Ihm geht es um das Evangelium Jesu Christi selbst, das hier gefährdet ist!

Kann die Schuld, die die Kirche in den vergangenen Jahrhunderten in Bezug auf das Judentum auf sich geladen hat, ein Kriterium für den (ich gebe zu "indirekten") exegetischen Befund sein, dass die Heidenmission im Verhalten Jesu begründet ist?
Gerd Häfner hat gesagt…
Entwicklungen und Vorgänge in der Kirchengeschichte können Einfluss nehmen auf die Art und Weise, wie wir heute bestimmte Fragen angehen; exegetische Befunde sollten sie nicht beeinflussen.

Wenn Jesus selbst in seinem Wirken keine Heidenmission begründet hat, heißt dies ja nicht, dass diese Mission illegitim wäre. Die Ostererfahrung hat Wirken und Person Jesu in neuem Licht erscheinen lassen, und in diesem Licht ist man zu Entscheidungen gekommen, die über den Rahmen des Wirkens Jesu hinausgingen. Im Johannes-Evangelium ist dies theologisch reflektiert worden mit der Vorstellung vom Geist, der in die ganze Wahrheit einführt (Joh 16,13).

Es scheint mir auch nicht möglich, über die Stellung zum Gesetz einen Bruch Jesu mit dem Judentum zu begründen. Wie auch immer man Gesetzeserfüllung im Rahmen der Rechtfertigungstheologie des Paulus auslegt (Schlier tut es in den Spuren der klassischen Auslegung als »Werkgerechtigkeit«), so lässt sich dies nicht auf die Auseinandersetzungen Jesu mit den Pharisäern übertragen.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Bedeutet das nicht, dass die nachösterliche Gemeinde etwas konstruiert, was in Jesu Selbstverständnis und Handeln nicht begründet ist?
Gerd Häfner hat gesagt…
Ja, das bedeutet das durchaus. Dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Wirken Jesu und der nachösterlichen Christusbotschaft, ist eine Erkenntnis, die sich mit der historischen Jesusforschung verbindet. Dabei bedeutet "Unterschied" nicht "Widerspruch". Der Glaube bekennt, dass in der nachösterlichen Reflexion die Wahrheit über Jesus erkannt wird (s.a. Joh 2,22; 12,16). Deshalb muss er historisch eruierte Unterschiede zwischen vor- und nachösterlicher Situation nicht fürchten. Die Legitimität urchristlicher Überzeugungen hängt nicht an der Bedingung, dass sie sich historisch ins Wirken Jesu zurückführen lassen. Andernfalls stünden wir unter dem Zwang, in der historischen Rückfrage bestimmte Ergebnisse zu erzielen. Dann könnte man aber historische Forschung nicht ernsthaft betreiben.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Ihre beiden letzten Sätze verstehe ich nicht. Nein, ich glaube, ich versteh die gesamte Aussage nicht. Meinen Sie das, was mit den Begriffen Kontinuität und Transformation (hierin Unterschied aber kein Widerspruch) gemeint ist?
Gerd Häfner hat gesagt…
Mein Gedanke ist: Wenn historische Jesusforschung unter dem Zwang stünde, alles das, was das urchristliche Bekenntnis ausmacht, bereits bei Jesus zu finden, könnte sie nicht mehr historische Forschung sein. Diese kann nur ergebnisoffen betrieben werden. An unserem Beispiel Heidenmission: Wenn diese nur dann legitim sein sollte, wenn sie bereits bei Jesus begründet ist, steht der Jesusforscher unter dem Zwang, den Gedanken der Heidenmission ins Wirken Jesu zurückzuverfolgen. Er müsste also alle Beobachtungen so deuten, dass dieses gewünschte Ergebnis herauskommt. So kann historische Rückfrage aber nicht funktionieren.

Mit »Unterschied« meine ich: Es hat Entwicklungen gegeben zwischen dem Wirken Jesu und der urkirchlichen Christusbotschaft nach Ostern, und dies ist kein Schaden: Nicht alle Inhalte dieser Christusbotschaft müssen schon bei Jesus nachweisbar sein. Würde man dagegen »Widerspruch« erkennen, würde man aus solchen Unterschieden ableiten, dass sie eine unberechtigte Deformation von Wirken und Person Jesu darstellten.

Ob nun das eine (Unterschied: legitime Entwicklung) oder das andere (Widerspruch: Abbruch der Verbindung zum Ursprung) vorliegt, kann nicht mit historischen Mitteln festgestellt werden. Für den Glauben gilt das erste: Er bekennt sich dazu, dass sich durch das Geschick Jesu als ganzes (einschließlich Kreuz und Auferstehung) die Bedeutung seiner Person für die ersten Zeugen erschlossen hat. Und zu dieser Erschließung gehört etwa (um auf unser Beispiel zurückzukommen), dass das in Christus gewirkte Heil nicht auf das erwählte Gottesvolk Israel beschränkt ist.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Danke für die Präzisierung. Ich stimme Ihnen in diesen Ausführungen zu! Es darf bei der historischen Forschung natürlich keine Prämissen geben. Und ich bin fest davon überzeugt, dass es Entwicklungen in der Kirchengeschichte gegeben hat, die sicherlich nicht direkt im Wirken Jesu fußen und trotzdem von seinem Geist erfüllt sind. So hat Jesus scheinbar nicht die Taufpraxis von Johannes übernommen.

Nur habe ich nicht den Eindruck, dass dies bei der Frage der Heidenmission der Fall ist.

Wenn ich die Predigt Johannes des Täufers sehe, wenn ich Jesu Botschaft vom Reich Gottes betrachte, sein galiläisches Umfeld, die genannten Perikopen, in denen Heiden genannt werden, die heidnischen Gebiete, die in den Evangelien als Aufenthaltsorte Jesu genannt werden, sein Wirken in Samaria, die Predigt des Stephanus, die Bedeutung der Gemeinde von Antiochia, das Apostelkonzil und der antiochenische Zwischenfall, dann fällt es mir schwer, vor diesem Hintergrund keinen Zusammenhang mit Jesu Handeln und Wirken herzustellen.

Die vorpaulinische Taufformel Gal 3,28 soll nichts mit dem Wirken des historischen Jesus zu tun haben?

Vergleicht man die Ausführungen des Galaterbriefes mit denen des Lukas in der Apg, dann wird deutlich, dass Petrus scheinbar auch Probleme in Jerusalem mit den Leuten um Jakobus hatte. Ist er beim ersten Besuch des Paulus noch der Leiter der Gemeinde, ist er beim zweiten Besuch nur noch die Nr 2 und geht dann selbst zur Heidenmission über. Jakobus scheint ihn abgelöst zu haben. Sind also nicht vielmehr die Kräfte, die die Jesusbewegung wieder mehr ans Judentum binden wollen, die das Überschreiten der Grenze zu den Heiden verhindern wollen, die einmütig im Tempel sitzen, diejenigen, die eine neue Entwicklung darstellen, die sich nicht an Jesu Verhalten binden lässt? Schließlich war es Jakobus und die Familie Jesu, die ihn aufgrund seiner Predigt als Verrückten erklärten! Mk 3,21
Gerd Häfner hat gesagt…
Was die Rückführung der Heidenmission ins Wirken Jesu betrifft, kommen wir wohl nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Ich meine aufgrund der dargelegten Beobachtungen, dass die Jesus-Tradition wie auch die noch erkennbaren urkirchlichen Debatten darauf hinweisen, dass Jesus selbst den Impuls zur Heidenmission nicht gegeben hat.

Und was die Entwicklungen in der Urkirche betrifft, so scheinen mir die Positionen nicht nur durch das Ja und Nein zur Heidenmission abgesteckt zu sein. Jakobus jedenfalls hat nach Darstellung des Paulus der gesetzesfreien Heidenmission zugestimmt (Gal 2,1-10), im antiochenischen Zwischenfall hat er diese Position nicht zurückgenommen, weil es dort um eine andere Frage ging. Ich werde diese Sicht, sobald es mir möglich ist, in einem eigenen Beitrag darlegen. Dabei kann sich zeigen, wie die Urkirche mit inhaltlichen Konflikten umgegangen ist.
Volker Schnitzler hat gesagt…
In Gal 2,1-10 ist von "Gesetzesfreiheit" keine Rede. Hier geht es - anders als bei der Parallele in der Apg - um das Evangelium des Paulus. Das steht zur Disposition!

In Antiochia geht es dann um die jüdischen Reinheitsgesetze und ihre Geltung beim Herrenmahl.

Die deutlichen Widersprüche zwischen Gal und Apg unterstreichen den Streit, den es in der frühen Gemeinde in dieser Frage gegeben hat. Wenn Petrus dann in seiner Ansprache in der Apg sagt: "Warum stellt ihr also jetzt Gott auf die Probe und legt den Jüngern ein Joch auf den Nacken, das weder unsere Väter noch wir tragen konnten?", dann klingt doch auch hier etwas von Gesetzeskritik durch.

Paulus bestreitet in seinen Ausführungen übrigens die Auflage des lukanischen "Aposteldekretes"! Diese "Gesetze" spielen scheinbar am Beginn der Jesusbewegung keine Rolle, zur Zeit des Lukas haben sich aber wohl bestimmte Kräfte in dieser Frage durchsetzen können.

Ja, der gemeinsame Nenner wird schwierig. Aber ich freue mich sehr auf Ihre weiteren Ausführungen und danke Ihnen für Ihre geduldigen Antworten!
Stefan Kraft hat gesagt…
Eine interessante Diskussion, die hier geführt wird (und, was im Internet nicht selbstverständlich ist, auf einem höflichen Niveau).
Ich meine, dass auch Gnilka in seinem Jesusbuch die Mission zu den Völkern als nachösterlich darstellt. (Leider erinnere ich mich nicht mehr an den Wortlaut bzw. die genaue Darstellung.) Ich habe auch die Interpretation gelesen (als eine Art "Kompromiss" zwischen den oben vertretenen Positionen), dass es Jesus natürlich um die Sammlung Israels ging. Erst wenn die Sammlung vollzogen sein sollte, sollte Israel als "Licht der Welt" auch die anderen Völker erleuchten (in Aufnahme der oben zitierten Jesaja- und Jeremiastellen). Ob Jesus diese Idee geteilt hat oder nicht, kann ich natürlich nicht sagen; sie könnte eben auch eine nachösterliche Interpretation vom Wirken Jesu sein. (Für mich klingt die Idee der späteren Erleuchtung der Völker nicht schlecht und durchaus plausibel; ich bin allerdings auch nur theologischer Laie.)

Die Unterscheidung von "Widerspruch" und "Unterschied" finde ich selbst - unabhängig davon - durchaus einleuchtend. Manch einer wird das aber wohl ganz anders sehen.
Norbert Zonker hat gesagt…
Lieber Herr Häfner,

zufällig bin ich auf Ihre Ausführungen zu Mk 5, 1-20 gestoßen, einem Text, der zu Unrecht häufig übersehen wird, weil in mancher Hinsicht „schwierig“ ist. Da ich mich vor gut 30 Jahren ausführlich mit dem Text und seiner Auslegungsgeschichte beschäftigt habe, möchte ich zu einigen Ihrer Ausführungen Einwände formulieren. Natürlich erlaubt es das Format nicht, alle Thesen im Detail zu begründen, aber vielleicht reichen Sie aus, um die Diskussion weiterzuführen.

Mein zentraler Einwand gilt der (von vielen vertretenen) Ansicht, dass die Schweine-Episode sekundär sei. Dagegen ist zu sagen, dass sie doch das Proprium, die Pointe der Erzählung bildet. Es ist schlechterdings unvorstellbar, dass ein zentraler Punkt einer solchen Geschichte nachträglich eingefügt worden sei (dies hat übrigens auch Helmut Merklein einmal sehr deutlich herausgestellt). Im übrigen bin ich der Ansicht, dass die Erzählung sehr wohl aus einem Guss ist; die scheinbaren Spannungen und Doppelungen erklären sich, wenn man sie nicht durch die Brille des diachron geschulten Exegeten liest, vielleicht auch, weil der Verfasser des Markusevangeliums das Griechische nicht so perfekt beherrschte wie etwa Lukas. (Wer dennoch meint, einen sinnvollen „Grundbestand“ ermitteln zu können, dem schlage ich vor, mit derselben Methode aus den Versionen des Mk-Textes bei Mt und Lk diese zu „rekonstruieren“ zu versuchen: Es geht nicht!)

Ausgehend vom Aufbau des Textes ist zu erkennen, dass dieser aus zwei Teilen besteht: Zunächst wird ausführlich die „unerhörte Begebenheit“ geschildert, im zweiten Teil wird über sie gesprochen und sie damit bewertet oder eingeordnet. Eine ähnliche Struktur findet sich etwa in Joh 9 bei der Heilung des Blindgeborenen: Die Gegner Jesu bestreiten das Faktum der Heilung, in dem sie die Identität des Geheilten bzw. seine vorherige Blindheit bestreiten. Anschließend wendet sich Jesus dem Geheilten zu. Analog hier: Es gibt vier „Berichte/Deutungen“ des Ereignisses, dessen Faktizität in keiner Weise in Frage gestellt wird: Zunächst berichten die Hirten „in der Stadt und auf dem Land“; ihr Tenor selbst wird nicht wiedergegeben, lässt sich aber aus dem Folgenden erschließen („und sie kamen um zu sehen, was geschehen war“). In V 16 wiederholen die Zeugen ihren Bericht, dessen Schwerpunkt offenbar in der Episode mit den Schweinen liegt. Als Konsequenz „bitten“ die Bewohner Jesus, das Land zu verlassen. Anders gesagt: Sie halten offenbar den „Preis“ für die Heilung des Besessenen für zu hoch; ihr Diskurs betrifft die Angemessenheit dieser Dämonenaustreibung. Es folgt die Deutung Jesu selbst im Gespräch mit dem Geheilten, dass „der Herr sich deiner erbarmt hat“. Schließlich die Verkündigung des Geheilten, der diese Sicht aufnimmt, mit christologischer Zuspitzung („was Jesus ihm getan hatte“). So muss Jesus zwar das Gebiet der Dekapolis verlassen, aber die Rede von ihm verbreitet sich dort gleichwohl.

Handelt es sich bei dem Besessenen um einen „Heiden“? Dies wird u.a. von Pesch oder auch von Franz Annen in seiner Studie „Heil für die Heiden“ vertreten, aber ich halte das alles nicht für überzeugend. Im Text ist nur von einem „Menschen“ die Rede, der nicht näher eingeordnet wird; wenn es Mk ausdrücklich um Nichtjuden geht, schreibt er das auch. Mein Haupteinwand: Erst in Mk 7 wird am Beispiel der Syrophönizierin die Zuwendung Jesu zu den „Heiden“ thematisiert. Mk wäre ein viel schlechterer Autor, als er es tatsächlich ist, wenn ihm solche gedanklichen Brüche unterliefen. Geht man weiter davon aus, dass der Geheilte „in dein Haus zu den Deinen“ gesandt wird, erübrigte sich an dieser Stelle auch die Diskussion um die „Heidenmission“, sofern es sich um einen Juden handelt.

Mit freundlichen Grüßen

Norbert Zonker

(nzonker(at)aol.com)
Gerd Häfner hat gesagt…
Lieber Herr Zonker,

natürlich kann man über literarkritische Operationen immer streiten. Ich meine, dass die Annahme, die Schweine-Episode sei nachträglich hinzugefügt, einige Schwierigkeiten des Textes löst. Diese Schwierigkeiten auf mangelnde Sprachkompetenz des Evangelisten zurückzuführen, scheint mir eine Verlegenheitslösung zu sein. Dass die Schweine-Episode das Proprium, die Pointe bildet, gilt für die bei Mk überlieferte Fassung. Dies ist in sich kein Argument dafür, dass das schon immer der Fall gewesen sein musste. Entscheidend ist, ob sich eine sinnvolle Erzählung ohne jene Episode und die zu ihr gehörenden Textteile rekonstruieren lässt. Dass dies der Fall ist, hat Rudolf Pesch m.E. gezeigt. Dass man aus der Mt- und Lk-Fassung keinen Grundbestand rekonstruieren kann, besagt für die verhandelte Frage nichts. Diese beiden Evangelisten haben ja die mk Fassung gekannt und bearbeitet (und dabei manches geglättet).

Nicht klar ist mir, wie es möglich sein soll, den Besessenen nicht als Heiden zu sehen. Dass ausdrücklich vermerkt sein müsse, dass der Besessene Heide sei, verfängt wegen der Situierung der Geschichte nicht: ein Mensch, der in Grabhöhlen lebt (an unreinen Orten aus jüdischer Sicht), in einem Land, in dem Schweine gehalten werden (unreine Tiere aus jüdischer Sicht), in einem heidnisch besiedelten Gebiet (Gerasa in der Dekapolis) – ein solcher Mensch wird auch ohne ausdrückliche Kennzeichnung im Rahmen des geschilderten Milieus als Heide präsentiert. So hat es im Übrigen auch Matthäus verstanden, der die Dämonen fragen lässt, ob Jesus gekommen sei, sie vor der Zeit zu quälen (Mt 8,29). Die Wendung „vor der Zeit“ besagt: Jesus ist eigentlich zu früh ins Heidenland zum Kampf mit dessen unreinen Geistern gekommen, seine Sendung ist auf Israel beschränkt (Mt 10,5f; 15,24); erst nach Ostern fällt diese Grenze (28,19). Die Diskussion um die Heidenmission ist also mit Blick auf Mk 5,1-20 nicht gegenstandslos, zumal es in 5,20 heißt, der Geheilte habe Jesus in der ganzen Dekapolis verkündet.
Norbert Zonker hat gesagt…
Lieber Herr Häfner,

das Problem, das ich mit „literarkritischen Operationen“ habe, liegt darin, dass sie aus meiner Sicht häufiger als nötig ausgeführt werden, um unliebsame Stellen aus einem Text „herauszuoperieren“. Mk 5,1-20 stellt eine Erzählung dar, die aus sich heraus verständlich ist, ohne dass es solcher Operationen bedarf. Aufgabe der Exegese ist es, einen solchen Text zu erklären und zu interpretieren. Die Hypothese, die Schweine-Episode sei sekundär, führt nicht zu einem besseren Verständnis, sondern nur zu neuen Schwierigkeiten: Wann, von wem und vor allem warum soll sie eingefügt worden sein? Zudem fehlte der angeblichen früheren Fassung dann das Motiv dafür, dass die Bewohner aus der Gegend zusammenlaufen und Jesus bitten, das Land zu verlassen. Und bei allem Respekt vor Rudolf Pesch (was, bitte, ist eigentlich „heidnisches Unwesen“??): Auf seine „Rekonstruktion“ der Vorlage – ein blutleeres Schreibtischprodukt – scheint mir voll zuzutreffen, was Sie in Ihrer Glosse „Wäre eine ‚Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten für Evangelisten‘ sinnvoll gewesen?“ zu Recht aufspießen. Die Evangelien sind doch keine Daily Soap, die unter Verwendung weniger Motive und Typen am Fließband immer neue Folgen produzieren …

(Teil zwei folgt)
Norbert Zonker hat gesagt…
(Teil zwei)

Zur Frage, ob der Besessene ein „Heide“ ist, möchte ich etwas weiter ausholen. „Ein Mann hatte zwei Söhne …“ Wie stellt sich ein Hörer oder Leser diesen Mann vor? Ohne Angaben zum Kontext wird ein Deutscher unwillkürlich an einen Deutschen denken, ein Chinese an einen Chinesen oder ein Afrikaner an einen Afrikaner. Würde man hinzufügen, es handele sich um ein Märchen aus „Tausend und einer Nacht“, würden sich die Hörer einen Orientalen vorstellen. „… der Jüngere sprach zum Vater: Gib mir das Erbteil, das mir zusteht.“ Jetzt würden biblisch geschulte Leser das Gleichnis aus Lk 15 erkennen und einen Juden imaginieren, obwohl der Text dazu gar keine Aussage macht. Auch hier kommen Schweine vor, die der Sohn später hüten muss. Für nichtjüdische Leser ein Bild der absoluten Armut, für jüdische (oder muslimische) darüber hinaus ein Ausdruck tiefster Demütigung. Das Leben am unreinen Ort mit unreinen Tieren qualifiziert den Sohn somit gerade nicht zum „Heiden“, sondern weist aus, wie „tief gesunken“ er ist.

Nun zu unserem Besessenen: Er lebt in der Dekapolis, einer hellenistisch-römisch geprägten Region mit jüdischer Diaspora. Er ist, modern gesprochen, psychisch und sozial in höchstem Maße desintegriert und hat – wohl nicht freiwillig, wie der Hinweis auf die Fesseln und Ketten nahelegt – seinen Aufenthalt in der Wildnis, außerhalb der Ortschaft. Wie im genannten Gleichnis wäre diese Umgebung noch einmal eine Stufe „schlimmer“, wenn man in dem Mann einen Juden sieht. Dem entspräche auch die Aufgebrachtheit der Ortsbewohner über den Kollateralschaden der Dämonenaustreibung: Ausgerechnet für „so einen“, der noch dazu „keiner von uns“ ist, wird unsere Herde geopfert.

Natürlich bieten diese Überlegungen keinen zwingenden Beweis dafür, dass es sich nicht um einen „Heiden“ handelt – dies ist aus meiner Sicht für das Verständnis der Erzählung aber auch nicht notwendig. Ich will ja auf der Zuordnung des Mannes zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch keine Theorie („Beginn der Heidenmission“ o.ä.) aufbauen. Ich meine nur, dass diejenigen, die dies tun, auf dem Holzweg sind, da ihre Schlussfolgerungen auf Voraussetzungen beruhen, die nicht tragfähig sind.

Aber zum Abschluss nochmals: Nicht auf diesen zusätzlichen Argumenten beruht mein Haupteinwand, sondern auf der Komposition des Markusevangeliums. Dem, was Sie zum Thema „Heidenmission“ bei Jesus schreiben, stimme ich zu. Gerade deshalb meine ich, dass das Thema „Heilendes Wirken an einem Heiden“ an dieser Stelle des Markusevangeliums – vor Kap. 7,24-30 – nicht hingehört. Eine solch wichtige Weichenstellung könnte doch nicht einfach ohne Diskussion und Erläuterung, gleichsam beiläufig, erfolgen! Wenn man das Bild der (musikalischen) Komposition nochmals verwenden will: Hier klingt allenfalls ein „Motiv“ erstmals in einer Nebenstimme leise an, welches in einem späteren Satz zum Thema wird. Ein ähnliches Motiv bilden die gegen die römische Besatzungsmacht gerichteten Subtexte – auch sie werden hier nicht ausdrücklich „thematisiert“.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Schön, dass die Diskussion um diese ausführlichste Wundererzählung des gesamten NT noch einmal aufgeflammt ist :-)

Im Kommentar von Lohmeyer ist zu lesen: „Der Gang der Erzählung ist eng mit ihrem Ort und den übrigen geographischen Verhältnissen verknüpft: Es ist ein fremder Strand, das heidnische Ufer des galiläischen Meeres. Da ragt die Küste steil auf; am See gibt es kaum Dörfer, sie liegen auf dem Hochplateau weiter
im Innern, das Ufer ist einsam, mehr eine Stätte für Tote als für Lebende. Seine
Bewohner sind vor allem Nichtjuden, wie die Schweineherde zeigt; es gehört politisch
zum Bezirk des hellenistischen »ZehnStädte
«Bundes. Dem frommen Juden ist es ein unreines Land.“

Wenn Markus auf eine ihm vorliegende Überlieferung zugreift, dann könnte dies auch erklären, weshalb hier nicht ausdrücklich von Heiden die Rede ist. Manche Exegeten glauben, dass er nur am Anfang und am Ende in die Komposition eingreift (Vgl. die Analyse im Kommentar von Dieter Lührmann: Das Markusevangelium, HNT 3, Tübingen
1987, S. 99: „Die markinische Rahmung läßt sich leicht abheben. 1a und 2a verbinden die
Geschichte nach rückwärts mit dem Kontext, ebenso 18a nach vorwärts, wo Jesus das Boot zur Rückfahrt an das »diesseitige« Ufer besteigt. Im übrigen nimmt Mk die Geschichte offenbar so auf, wie sie ihm vorlag, ohne z. B. ein Schweigegebot einzufügen; im Gegenteil, der Geheilte soll die Geschichte
verbreiten . . . “).

Ich hab auch noch einmal ein wenig dazu gelesen und denke, dass man mit Hilfe des Unableitbarkeitskriteriums, auch wenn es von einigen Exegeten, so z.B. Theißen, kritisch gesehen wir, weiter kommt. Wer in der Mitte des ersten Jhdts sollte sich diese Geschichte ausgedacht haben. Und warum? Jesus verängstigt die Menschen, der Schaden für den Besitzer der Schweine ist immens, er verweigert dem Geheilten die Nachfolge und wird schließlich höflich des Landes verwiesen. Ich halte sie für unerfindbar und schließe einen historischen Kern nicht aus.

Jesus hat Kontakt mit Heiden, das lässt sich in Galiläa und Umgebung gar nicht vermeiden. Er fürchtet den Kontakt mit dem "Unreinen" nicht. Die Geschichte von der blutflüssigen Frau im Anschluss an den Schweineexorzismus unterstreicht dies nochmals.
Volker Schnitzler hat gesagt…
PS

Wenn es sich bei dem Geheilten um einen Juden gehandelt hätte, dann hätte Markus dies doch den Lesern zwingend erläutern müssen, da die gesamte Komposition auf heidnische Unreinheit abzielt.
Gerd Häfner hat gesagt…
@Norbert Zonker

Sicher sind die Evangelien keine Daily Soap, aber sie gehören einem religiösen Milieu an, das, wie das Alte Testament zeigt, das Phänomen literarischer Fortschreibung kennt. Es ist sicher Aufgabe der Exegese, den überlieferten Text zu erklären. Literarkritische Operationen sollen genau dazu beitragen. Sie haben nicht den Sinn, etwas aus dem Text herauszuschneiden, um es, weil es sekundär ist, als minderwertig oder belanglos zu bezeichnen. Man kann im Einzelnen darüber streiten, ob es mithilfe der Literarkritik gelingt, den Text besser zu erklären. Das Verfahren ist deshalb aber nicht grundsätzlich abzulehnen. Entscheidend ist, ob es den Textphänomenen gerecht wird. In Mk 5,1-20 ist das nach meiner Einschätzung der Fall (z.B. wird das Nacheinander von erfolglos scheinendem Ausfahrbefehl und Erlaubnis der Einfahrt in die Schweine erklärt).

Dass es kein überzeugendes Motiv für die Erweiterung gebe, lässt sich m.E. nicht sagen. Aus jüdischer Sicht ist nicht nur heidnischer Kult, sondern auch alles, was mit dem Widerspruch zu jüdischen Reinheitsvorstellungen zu tun hat, ein Gräuel. Eine Geschichte zu erzählen, in der Jesus gegen solches »heidnisches Unwesen« vorgeht, ist deshalb nicht abwegig. Und die Reaktion des Petrus in Lk 5,8 zeigt, dass eine Abgrenzung vom Wundertäter, in dem man der göttlichen (und deshalb für den Menschen auch potentiell bedrohlichen) Macht begegnet, nicht wirtschaftlichen Schaden voraussetzen muss.

Was den religiösen Status des Besessenen betrifft, so stimme ich der Bemerkung von Volker Schnitzler zu: Eine Einordnung ins Judentum hätte Markus angesichts des erzählerischen Milieus zwingend erläutern müssen. Nirgends spielt in der Geschichte eine Rolle, dass der Besessene aus Sicht der heidnischen Bevölkerung »keiner von uns« ist. Der Bezug auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn verfängt insofern nicht, als sich der jüngere Sohn beim Schweinehüten in einem »fernen Land« aufhält und diese Tätigkeit seinen Abstieg besonders deutlich machen soll. Die Konfrontation von jüdischer Tradition mit heidnischen Lebensgewohnheit (Halten von Schweinen) ist durch die erzählerische Konstellation geklärt, was für Mk 5,1-20 nicht gilt.

Das Argument aus der Komposition des MkEv halte ich nicht für so stark, dass es die Beobachtungen zu Mk 5,1-20 entkräften könnte. Aus ihnen ergibt sich eher, dass Markus kein erzählerisches Konzept hatte zur Ausweitung des Wirkens Jesu auf die Heiden.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Geht Jesus in der Wundererzählung gegen "heidnisches Unwesen" vor!? Er wendet sich doch innerhalb der Erzählung ganz bewusst den Heiden zu und legt Wert darauf, dass das Wirken des Herrn in der heidnischen Welt verbreitet wird.

Gibt es ein erzählerisches Konzept des Markus, dass sich Jesus mit Sündern, Aussätzigen und dem kultisch Unreinen abgibt? Auch das wird wie selbstverständlich erzählt. Dass ihn eine blutflüssige Frau verunreinigt wird nicht einmal problematisiert, es scheint für Jesus keine Rolle zu spielen. "Dein Glaube hat dir geholfen, Gehe in Frieden." Damit ist die Sache erledigt. Kultische Unreinheit scheint ihn nicht davon abzuhalten, sich unreinen Menschen zuzuwenden, weshalb sollte er unreine Heiden ausgeschlossen haben? Im Markusevangelium she ich keinen Hinweis darauf.
Gerd Häfner hat gesagt…
@Volker Schnitzler
Dass sich Jesus in der Erzählung Heiden zuwendet, bestreite ich nicht. Aber er geht insofern gegen »heidnisches Unwesen« vor, als unreine Orte (Gräber) verlassen und unreine Geister vertrieben werden.

Jesus hat in jüdischem Rahmen wohl die Regeln kultischer Reinheit angesichts der Anforderungen der Reich-Gottes-Verkündigung relativiert (die Pharisäer jedenfalls haben das so gesehen); von hier aus ist es aber ein großer Schritt zum Überschreiten der Grenze zu den Heiden. Dass Mk eine vorbehaltlose Zuwendung Jesu zu den Heiden erzählt, bleibt m.E. auf 5,1-20 beschränkt - gerade darin besteht eine Besonderheit dieser Erzählung. Andere Geschichten, in denen Jesus östlich des Sees Gennesaret wirkt, tragen jedenfalls eine »heidnische Prägung« nicht in sich selbst. Und selbst wenn man diese Prägung für die Ebene des MkEv erkennen wollte, wäre damit noch nicht die historische Ebene der Verkündigung Jesu erreicht.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Da stimme ich Ihnen zu. Allerdings habe ich den Eindruck, dass gerade die Informationen, die man über das Unableitbarkeits- und Kohärenzkriterium über den historischen Jesus erhält, darauf hinweisen, dass es eher umgekehrt ist, dass nämlich die Evangelisten manches historische Handeln Jesu überdecken (besonders Matthäus?). Wenn er als Fresser und Säufer bezeichnet wurde, das Fasten ablehnte, das Sabbatgebot relativierte, das mosaische Ehescheidungsgesetz korrigierte, kultische Unreinheit offenbar ignorierte, dann kann ich mir kaum vorstellen, dass er ein Problem mit Heiden hatte, die es in Galiläa zur Genüge gab, die in den heidnischen Gebieten, in denen er sich auch aufhielt, wohl die Mehrheit darstellten.

Kann man nicht eine Kontinuität der Gesetzes- und Tempelkritik von Johannes zu Jesus über Stephanus bis Paulus ausmachen? Wie will man den Kreuzestod und die Steinigung des Stephanus nur erklären, wenn man davon ausgeht, dass sie gesetzestreue Juden waren? Zwischen Johannes (Mt 3,9), der die Abrahamskindschaft relativiert und Paulus, der dies ebenfalls tut, scheint mir eine Traditionslinie zu bestehen.

Mag sein, dass die Zuwendung zu den Heiden nicht vorbehaltlos war, auch Paulus geht zuerst in die Synagoge, der Bund mit dem auserwählten Volk bleibt ja auch bestehen, Jesus wird sich primär Juden zugewandt haben, was der Zwölferkreis schon andeutet. Aber eine Zuwendung abzulehnen scheint mir nicht gerechtfertigt zu sein.
Norbert Zonker hat gesagt…
@Gerd Häfner

Natürlich lehne ich Literarkritik nicht ab, sondern halte sie grundsätzlich für sinnvoll und nützlich.

Mein Verdacht ist nur, dass viele Exegeten die Schweine-Episode nicht wegen literarkritischer Argumente, sondern aus inhaltlichen Gründen als nachträglichen Einschub werten – weil sie nicht in ihre vorgefassten Kategorien passt. Und natürlich stellt sie in mancher Hinsicht eine Herausforderung (nicht zuletzt für die vielen gutsituierten Christen in heutiger Zeit) dar – gerade deshalb ist sie ja so interessant.

Der Verweis auf Lk 5,8 führt m. E. in diesem Fall nicht weiter; während Petrus das Wunder und damit den Wundertäter anerkennt und sich dabei zugleich als Sünder erkennt, fehlt diese Anerkennung bei der Menge in Mk 5,1-20 völlig. Das genretypische „Staunen“ kommt vielmehr erst örtlich und zeitlich versetzt zustande, und zwar auf den Bericht des Geheilten hin, nicht nach dem Exorzismus selbst. Deshalb kann man von der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Betroffenen hier gerade nicht absehen.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Erzählung zeigt in singulärer narrativer Weise, dass das Kommen des Reiches Gottes – zu dessen bevorzugten Zeichen das Austreiben von Dämonen gehört (vgl. Lk 11,20) – nicht neutral zu den gesellschaftlichen Verhältnissen geschieht. Explizit wird dies etwa im Kamelspruch Jesu (Mk 10,25) oder in der lukanischen Antithese von Seligpreisung der Armen und Weheruf gegenüber den Reichen ausgesagt. (Deshalb ist das „Wunder“ der Bekehrung des Oberzöllners Zachäus so spektakulär, der nach der Begegnung mit Jesus praktisch sein ganzes Vermögen freiwillig hergibt [die Hälfte will er nach eigenem Bekunden den Armen geben, die andere Hälfte dürfte er weitgehend aufbrauchen, wenn er allen, denen er zuviel abgenommen hat, das Vierfache erstatten will]).

In Mk 5,1-20 steht die Rettung eines „Armen“ gegen den Verlust einer großen Schweineherde. Die Zumutung Jesu an die Gerasener besteht nicht nur darin, dass er die Herde ohne Zögern um dieser Rettung willen über die Klippen springen lässt, sondern dass er von ihnen letztlich erwartet, dass sie sich mit darüber freuen, dass er Erbarmen mit dem Besessenen hatte. Dazu können sie sich offensichtlich nicht durchringen. Lieber sorgen sie dafür, dass dieser merkwürdige Wundertäter das Land schnell wieder verlässt.
Gerd Häfner hat gesagt…
@Norbert Zonker
Die Frage, ob Mk 5,1-20 aus einem Guss ist oder nicht, muss sich an den Argumenten entscheiden, die für die eine oder andere Position vorgebracht werden. Ich habe keine Vorbehalte gegen die »Schweine-Episode«, die ja in jedem Fall als Text des MkEv ernst zu nehmen ist. Soweit es mir bewusst ist, habe ich keine Kategorien, in die jene Episode nicht passen würde.

Der Verweis auf Lk 5,8 sollte keine parallele Erzählkonstellation begründen, sondern darauf hinweisen, dass der wirtschaftliche Schaden (Vernichtung der Schweineherde) nicht zwingende Voraussetzung für die gewünschte Abgrenzung vom Wundertäter ist.

Ihre Auslegung bezieht sich auf den bei Mk überlieferten Text, und an den ist die Exegese in jedem Fall verwiesen - unabhängig von der Frage nach der ursprünglichen Gestalt der Erzählung. Dem Satz, dass »das Kommen des Reiches Gottes – zu dessen bevorzugten Zeichen das Austreiben von Dämonen gehört (vgl. Lk 11,20) – nicht neutral zu den gesellschaftlichen Verhältnissen geschieht«, stimme ich gerne zu. Weniger deutlich erkenne ich, dass das in Mk 5,1-20 eine Rolle spielt. Dass Jesus um der Rettung des Besessenen willen die Herde »über die Klippe springen lässt« und von den Gerasenern »letztlich erwartet, dass sie sich mit darüber freuen, dass er Erbarmen mit dem Besessenen hatte«, hat jedenfalls keinen unmittelbaren Anhalt am Text. Die Rettung des Besessenen hätte auch durch Austreibung des Dämons (ohne Einfahrt in die Schweine) erzählt werden können - und so wird ja zunächst in V.8 auch formuliert. Man kann also nicht sagen, die Bannung der Dämonen in die Schweine sei um der Rettung des Besessenen willen geschehen, wenn im Text dieser Zusammenhang nicht eindeutig hergestellt wird (es könnte auch um die Vernichtung der unreinen Tiere gehen). Und was Jesus von den Gerasenern erwartet, spielt im Wortlaut der Geschichte keine Rolle.
Volker Schnitzler hat gesagt…
Noch ein paar lose Gedanken:

Vergleicht man diese jesuanische einmal mit anderen antiken Wundererzählungen, dann fällt auf, dass es oftmals ein sichtbares Zeichen für den Erfolg einer Austreibung gibt. So z.B. fährt der Dämon, den Apollonios von Tyana in Athen austreibt, in eine Statue ein und lässt diese umstürzen.

Eine literarische Ausschmückung eines Exorzismus bedeutet aber doch noch lange nicht, dass es keinen historischen Ursprung gibt.

Und Jesus erwartet zumindest von dem Geheilten, dass er von diesem Geschehen in der Dekapolis berichtet.

Könnte der Tod der Schweine nicht auch die Bösartigkeit der Dämonen unterstreichen?
Norbert Zonker hat gesagt…
@Gerd Häfner

„...er geht insofern gegen »heidnisches Unwesen« vor, als unreine Orte (Gräber) verlassen und unreine Geister vertrieben werden.“

Diese Aussage (auch bei R. Pesch et al.) kann ich nicht nachvollziehen. Dazu Folgendes:

1. Die Formulierung „heidnisches Unwesen“ ist inhaltsleer; sie klingt bedeutsam, ist aber heiße Luft. Es fehlt die begriffliche Differenzierung.
2. Im Text kommt „Heidnisches“ – etwa in Gestalt des Kults oder der moralischen Verfehlung – weder dem Begriff noch der Sache nach vor. Zwar ist durch die Anwesenheit der Schweine die Gegend als „unrein“ kontaminiert, auch die Geister sind „unrein“, aber die Differenz von „Reinheit/Unreinheit“ ist ja nicht auf das „heidnische“ Gebiet beschränkt. Gräber als solche sind ja wohl auch nichts typisch „Heidnisches“. Und die Schweine laufen nicht in erster Linie als „Bedeutungsträger“ herum, sondern sind eben Schweine.
3. Wie ist das „Vorgehen gegen heidnisches Unwesen“ logisch vereinbar mit der folgenden Aussage von der „vorbehaltlosen Zuwendung Jesu zu den Heiden“? Beides zusammen geht ja wohl nicht. Und die Stimmung der Besitzer der Schweine dürfte sich auch kaum gehoben haben, wenn ihnen ein Exeget erklärt hätte, der Verlust sei doch halb so schlimm, da es sich doch ohnehin um „unreine“ Tiere gehandelt habe.
4. In der von Jesus in der Erzählung gegebenen Deutung kommt weder ein Bezug auf „Heidnisches“ noch auf „Unreinheit“ vor, sondern im Zentrum steht das Erbarmen mit dem Besessenen.
5. Jesus tritt trotz des spektakulären Exorzismus nicht als gefeierter Sieger von der Bühne ab, sondern wird dazu gedrängt, das Gebiet zu verlassen. Er stößt hier ebenso auf Ablehnung wie in 6,1-6 in seiner Heimat und bei den jüdischen Autoritäten.

Was ich sagen will ist, dass die Brille „jüdisch vs. heidnisch“ für diesen Text nicht erkenntnisfördernd ist.

(folgt Teil zwei)
Norbert Zonker hat gesagt…
(Teil zwei)

Wenden wir uns noch einmal genauer dem Text zu und betrachten die Konstellation der Akteure. Jesus (und seine Jünger, die hier aber keine eigenständige Rolle spielen) treffen am „anderen Ufer“ auf einen eigenen Mikrokosmos, der von zwei (Gruppen von) Akteuren bevölkert ist: dem Besessenen und den Bewohnern der Stadt und der Dörfer. Sie haben zueinander eine antagonistische Beziehung, die durch Exklusion des Besessenen gekennzeichnet ist. In dem ausführlichen Rückblick wird dafür das sozial abweichende und schädliche Verhalten des Besessenen als Grund angegeben. Dieser muss in der Wildnis und „bei den Toten“ leben. Das Verhalten der Bewohner ist geprägt von Angst und Abwehr.

Der Text weckt damit beim Rezipienten implizit die Erwartung: Wäre der Mann nicht von Dämonen besessen oder könnten sie ihm ausgetrieben werden, so könnte er wieder in die Gemeinschaft integriert werden. Diese Erwartung wird aber im Fortgang enttäuscht: Nachdem die Bewohner den vormals Besessenen ordentlich bekleidet und bei Verstand sehen, reagieren sie – mit Angst und Ablehnung. Die Ablehnung wird freilich explizit nur Jesus gegenüber geäußert – in Form der „Bitte“, er möge das Land verlassen. Es fehlt aber zugleich jede Bekundung einer Zuwendung zu dem Geheilten oder Freude über seine Heilung. Deshalb (? – eine der vielen „Leerstellen“ des Textes, die der Leser aus dem Kontext heraus ergänzen muss) will er bei Jesus bleiben dürfen. Würde dieser die Bitte erfüllen, würde er zugleich die Exklusion des vormals Besessnen bestätigen, indem er ihn mit aus dem Land nähme. Stattdessen schickt er ihn ausdrücklich zurück nach Hause und zu seiner Familie. Ob die „Resozialisierung“ gelingt, bleibt allerdings offen, da im letzten Vers der Geheilte in der ganzen Dekapolis umherzieht und die Botschaft von seiner Heilung verkündet. So kann zwar Jesus nicht im Land bleiben, aber die Erzählung über ihn verbreitet sich dennoch. Deshalb stimme ich Volker Schnitzler zu, dass die Erzählung hier ihren historischen Ursprung hat.

Ich bin mir bewusst, dass auch hier an einigen Stellen über den Wortlaut des Textes hinausgegangen wird, doch es ist der Versuch, die „Leerstellen“ aus dem Kontext heraus zu „füllen“ und dabei von einer inneren Logik auszugehen. Doch bleibt dabei natürlich Spielraum für unterschiedliche Sichtweisen.
Gerd Häfner hat gesagt…
@Norbert Zonker
In meiner letzten Antwort habe ich dargelegt, wie ich die Rede vom »heidnischen Unwesen« verstehe. Dass Sie die Antwort nicht akzeptieren, liegt daran, dass Sie die Situierung der Geschichte im heidnischen Milieu ausblenden. Weder die Lokalisierung noch der durch Schweinezucht für jüdische Ohren unüberhörbar gegebene heidnische Kontext lassen Sie als Hinweis auf jene Situierung gelten. Die Gräber sind zwar nichts typisch Heidnisches, der Aufenthalt dort aber nach Jes 65,4 schon (im Rahmen einer Kritik am Einfluss heidnischer Praktiken in Israel). Dass die Schweine nicht als Bedeutungsträger herumliefen, sondern eben als Schweine, stimmt für reale Schweine, aber nicht für Schweine als Erzählmotiv. In diesem Rahmen ist Ihre Aussage eine unzulässige Abstraktion von geschichtlichen Zusammenhängen. In jüdischem Kontext löst das Schwein bestimmte Assoziationen aus: Es ist ein unreines, für die Heiden typisches Tier.

Sie fragen, wie das »Vorgehen gegen heidnisches Unwesen« mit der »vorbehaltlosen Zuwendung zu Heiden« logisch vereinbar sein soll. Das Erste bezieht sich auf das, was aus jüdischer Sicht ein Gräuel ist (Aufenthalt in Grabkammern, Halten unreiner Tiere), das Zweite auf der personalen Ebene auf die Zuwendung Jesu zu dem Besessenen, der von den unreinen Geistern befreit wird. Sie geschieht hier anders als in Mk 7,24-30 ohne Vorbehalt im Blick auf die Sendung Jesu zu Israel.

Dass Jesus von den Einwohnern Gerasas wie von den Einwohnern Nazarets oder den jüdischen Autoritäten nicht anerkannt wird, trägt für die diskutierte Frage nichts aus. Aus dieser Parallele lässt sich nichts ableiten für die Frage, welche Rolle der Gegensatz zum Heidentum in der Erzählung spielt.

Zu Ihrer Auslegung: Sie schreiben selbst, dass Sie Leerstellen des Textes füllen. Und genau da sehe ich das Problem. Warum werden die entscheidenden Punkte nicht gesagt, wenn sie denn entscheidend sein sollen: dass der Besessene von den Gerasenern nicht in die Gemeinschaft aufgenommen werde; dass Jesus ihn nicht mit sich ziehen lasse, weil dies die Ausschließung des ehemals Besessenen bestätigen würde. Dies ist anders in der diskutierten »Heidenfrage« nicht aus der Einbindung der Erzählung in ihren kulturellen Kontext zu erklären. Woraus ist abzuleiten, dass es dem Erzähler überhaupt um das Verhältnis des Besessenen zu den Stadtbewohnern ging? 5,3-5 gibt das nicht her. Die Erzählung hat hier keine Leerstelle, die zu füllen wäre.
Norbert Zonker hat gesagt…
@Gerd Häfner

Ich will noch einmal versuchen, mein Anliegen zu verdeutlichen.

Es geht mir darum, den Text aus sich heraus zu verstehen. Dazu bedarf es einer Betrachtung der Akteure und ihrer Interaktion, der Handlung als solcher, der Dialoge und deutenden Aussagen der Akteure sowie der „Welt“ des Textes. Der Text enthält mehrere „Leerstellen“, etwa Aussagen von Akteuren, die nicht wiedergegeben werden und die der Leser nur aus dem weiteren Fortgang der Handlung ergänzen kann, oder das Fehlen von genretypischen Elementen (etwa die Akklamation der Menge), die ebenfalls vom Leser zu deuten sind. (Es geht hier um die Logik des Textes und nicht um die Fantasie des Lesers.)

Die Analyse des Aufbaus zeigt, dass der Text auf die Frage hinausläuft, wie der spektakuläre Exorzismus zu deuten ist: als Heilshandeln Gottes oder, in heutiger Terminologie, „grober Unfug“/„schwere Sachbeschädigung“? Die entscheidende Deutung gibt Jesus selbst, nämlich dass Gott dem Besessenen Erbarmen gehabt hat. Die „Gerasener“ schließen sich dieser Sicht nicht an, erst die späteren Hörer der Geschichte „staunen“.

Selbstredend ist die „Welt“ der Erzählung „heidnisch“ konnotiert; doch es ist auffällig, dass dies unter den Akteuren kein Streitpunkt ist, ebenso wenig wie das Thema „Unreinheit“. Jesus spricht es in keiner Weise an, und für die „Gerasener“ ist es kein Problem.

Natürlich kann man sich auf einer Meta-Ebene die Frage stellen, ob und inwieweit Jesus hier im „heidnischen“ Kontext heilsbringend gewirkt hat. Man muss aber zur Kenntnis nehmen, dass die Akteure dieses Wirken nicht so empfinden (mit Ausnahme des Besessenen selbst, bei dem der Text aber – wie ich zu zeigen versucht habe – offen lässt, ob er ein „Heide“ ist). Der Verweis auf Jes 65,4 führt in diesem Fall nicht wirklich weiter, denn hier geht es um Götzendienst bzw. „heidnische“ Kulthandlungen des Bundesvolkes. Der Besessene hält sich zwar zu Beginn zwangsweise in Grabhöhlen auf, aber doch nicht, um dort verbotene Kulthandlungen zu verbringen (und sie wären ja auch wieder vornehmlich dann ein Gräuel für jüdische Leser, wenn es sich bei dem Betreffenden um einen Juden handelte). Zudem sind die Adressaten des Mk bekanntlich „Heidenchristen“, denen zunächst einmal erklärt werden müsste, wo hier das Problem liegt. (Die späteren Christen-Generationen hatten bekanntlich gegen den Aufenthalt in Grabhöhlen auch keine grundsätzlichen Vorbehalte, wie die römischen Katakomben belegen.)
Anonym hat gesagt…
Hier auch die interessanten Informationen, das thema: "BESESSENHEIT"

http://informationfordevelopment24.blogspot.com/
Ludwig hat gesagt…
Ich möchte von den Kontexten her ein wenig weiter ausholen, weil so das Gleichnis des Bessesenen von Gerasa - für mich als Laie - eine zusätzliche Ebene bekam. Gut möglich, dass ich mit meiner Interpretation völlig falsch liege. Bitte nicht als Gegensatz zur der sehr hilfreichen universitären Deutung auffassen, sondern als eine daneben gestellte Ergänzung, welche sich inhaltlich mehr am Kontext des Endtextes orientiert.

Aus meiner Sicht hat Markus mit Mk 4,1 einen "hermeneutischen Workshop" begonnen: Darin geht es um die Kunst des Verstehens "all der anderen Gleichnisse" - davor gibt es gar keine Gleichnisse im Mk! Das wäre ein längeres Thema für sich - nur so viel in Stichworten: "sehen sollen sie, sehen, aber nicht erkennen; hören sollen sie, hören, aber nicht verstehen", "Seht zu, was ihr hört. Nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden, ja, es wird euch noch mehr gegeben."
Vieles was hier steht, weist aus meiner Sicht darauf hin, dass Bilder (zusätzlich) mehr sagen als tausend Worte. Das ist ein hermeneutischer Schlüssel (nicht nur) zum Mk. "Es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar wird, und nichts Geheimes, das nicht an den Tag kommt." "Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen; seinen Jüngern aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war."

In dem ganzen folgenden Sinnabschnitt Mk 4,35-5,43 den ich gesamt als eine Art Anwendungsbeispiel oder sogar als "Abschlussprüfung" dieses hermeneutischen Workshops verstehe, geht es um den Tod und was uns Jesus dazu sagen möchte. Von Anfang an ist der Tod ein grundlegendes Thema in der Bibel:
"Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden" und "bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück." Dieses Memento mori unterscheidet den Menschen vom Tier. Das ist die besondere Last, welche der Mensch zu tragen hat.

Ich verstehe den "Dämon Legion" als den Tod bzw. die Angst vor dem Tod in dessen Bannkreis alle Menschen stehen. Er heißt Legion, weil er viele ist - jeder Mensch leidet an seinem Dämon des Todes.

Textstellen des Gleichnisses, denen ich das in einer Kombination aus Wort und Bild entnehme:
das andere Ufer (des Sees)
Er kam von den Grabhöhlen in denen er lebte.
Man konnte ihn nicht bändigen.
niemand konnte ihn bezwingen.
Bei Tag und Nacht schrie er unaufhörlich in den Grabhöhlen
stürzte sich den Abhang hinab in den See ... alle ertranken.

Unmittelbarer Kontext vor dem Bessesenen von Gerasa:
Auf der Fahrt "ans andere Ufer" (Doppelung) die Todesangst der Jünger und das Fehlen dieser Angst bei Jesus. "Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?"
Kontext im Anschluss:
Die Heilung der "verblutenden" Frau "sehe" ich als ein Bild für das Sterben.
Die Auferweckung der Tochter des Jairus als Bild des Sieges Jesu über den Tod.

Insgesamt sind es hier also 4 aufeinanderfolgende Bilder, die sich mit dem Thema Tod und Sterben beschäftigen. Diese 4 Bilder bilden fast schon einen Comic-Strip mit dem "Superhelden" Jesus, auf seiner Mission den Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen und ihnen die frohe Botschaft der Auferstehung zu bringen.
Martin Zöbeley hat gesagt…
Sehr geehrter Herr Häfner, danke für Ihre Blogbeiträge, die ich sehr lesenwert und immer anregend finde - im Unterschied zu manchen Kommentaren und Reaktionen darauf. Was halten Sie von meiner etwas gewagten Deutung des "besessenen Geraseners", die ich in meinem Blog über das MkEv versucht habe? Eine herzliche Einladung zur Lektüre - und die besten WÜnsche für Ihre weitere Arbeit,
Ihr Martin Zöbeley
PS: Hier noch der Link...
https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-sog-besessenen-von-gerasa-mk-5
Anonym hat gesagt…
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